Zuckerguss für Isabel

Trauer voller Lebensfreude
Von Mareile Oetken
Eselsohr Heft 7, 2005

Sterben im Bilderbuch zu thematisieren ist längst kein Tabu mehr, doch ist die Vermittlung offensichtlich von Unsicherheiten geprägt. Wo sonst das Diktat strahlender Farben und klarer Konturen die Illustration für Kinder bis zum Koma prägt, legen bei diesem existentiellen Thema gerne weichgespülte Aquarelle und Kreiden in verschwimmender Gegenständlichkeit einen sentimentalen Schleier über das Unsagbare. In "Zuckerguss für Isabel" von Marie-Thérèse Schins, illustriert von Birte Müller, tanzen dagegen Kinder fröhlich über Gräber. Die Bilder strahlen in Gelb und Orange, wie ein Frühlingstag. Birte Müller malt leidenschaftlich mit gestischem Pinselstrich Bilder praller Lebensfreude.

"Als ich in Mexiko zum ersten Mal den "Tag der Toten" erlebt habe", erzählt sie, "hat mich sofort fasziniert, so lebendig an die verstorbenen Verwandten und Freunde zu denken und mit ihnen zu feiern."

Inspiriert von diesem eindrucksvollen Erlebnis konzipierte sie noch als Studentin 2003 "Auf Wiedersehen, Oma!" als Diplomarbeit ihres Illustrationsstudiums an der Fachhochschule für Gestaltung bei Rüdiger Stoye in Hamburg.

"Ich habe als Ort für mein Buch und meine Nachforschungen Bolivien gewählt, da dort der Brauch noch tiefer verwurzelt und ganz frei ist von Halloween oder jeglicher Verwestlichung ist."

Marie-Thérèse Schins begleitet Kinder und Jugendliche seit Jahren in Trauerseminaren. Sie traf Birte Müller bei der Eröffnung der Jahrgangsausstellung.

"Ich wusste gleich, dass ich mit ihr gemeinsam ein Projekt machen wollte. Sie präsentierte ihre Arbeit mit Mal- und Fotomaterialien aus Bolivien und Mexiko. Ich war hingerissen von ihrer unkomplizierten, direkten Art, mit dieser Thematik umzugehen. Ihre Farben faszinierten mich, ihr schwungvoller Strich war so lebendig, ohne das Thema Tod nicht ernst zu nehmen."

Der Unterschied zwischen unserem stillen "Totensonntag" und dem quirligen "Tag der Toten" in Lateinamerika könnte kaum größer sein. Wie kann das Wissen um fremde Bräuche Kindern in Europa im Umgang mit Trauer helfen? Um diese Brücke zu schlagen, erzählt Marie-Thérèse Schins im neuen Buch "Zuckerguss für Isabel" von Nadia, die mit ihrer Familie aus Europa nach Mexiko zieht und mit ihrem Schulfreund Carlos im Kreis seiner Familie den "Tag der Toten" voller Staunen und Begeisterung erlebt. Dass die Geschichte nicht 1:1 übertragen werden kann, spielt keine Rolle. Birte Müller will mit diesem Buch vor allem Gesprächsanlässe stiften: "Ich denke, für Kinder ist es wichtig, dass wir uns mit ihren Fragen und Ängsten beschäftigen, auch wenn wir als Erwachsene kaum eine Antwort wissen. Im Bilderbuch zum Thema Tod und Abschied zu arbeiten, ermöglicht sowohl Erwachsenen als auch Kindern den Dialog."

Einfacher ist die Annäherung an das komplexe Thema sicher, wenn keine akute Betroffenheit vorliegt. Doch in ihrer langjährigen Praxis der Trauerbegleitung hat Marie-Thérèse Schins immer wieder erfahren, dass Kinder über den Umweg einer Projektionsfläche Zugang zu ihrer bedrückenden Trauer finden. Der Schauplatz fremder Kulturen kann eine hilfreiche Distanz schaffen, sensible Hemmschwellen abzubauen: "Sie brauchen oft so eine Fläche, irgendwo ganz anders. Sie kommen dann über diese Möglichkeit plötzlich auf sich. Sie erzählen mit einem Mal vom toten Hamster, von der Nachbarin, die verstarb. Sie trauen sich alles los zu werden, was sie woanders nicht sagen dürfen."

Birte Müller schätzt die expressive Qualität der Acrylmalerei: "Als Malerin interessieren mich besonders so intensive Dinge. Mir ist es wichtig, den Lesern und Anschauern die Angst vor dem Thema zu nehmen. Wenn man alles in traurigen düsteren Farben malt, ist die Hemmung noch viel größer. Das Thema ist schon schwierig genug, da darf nicht auch noch die Farbwelt zu bedrückend sein. Und dann geht es ja gerade darum, die Lebendigkeit und farbenfrohe Auseinandersetzung anderer Kulturen mit diesem Thema zu zeigen, das soll ja auch in der Malerei widergespiegelt werden!"

So hat sich noch keiner an das angstbesetzte Thema im erzählenden Bilderbuch herangewagt. Und zwei weitere Bücher sind bereits geplant. Bald werden sich die beiden auf den Weg machen, um Trauerkultur zunächst in Afrika, später in Indien zu erkunden, voller Vorfreude, ihre Erfahrungen mit Kindern hier teilen zu können.

Mareile Oetken


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